Mittwoch früh gegen 6:30 Uhr - es ist viel zu tun. Heute stehen zwei Statusmeeetings zum Projekt an, dann haben wir eine Mitarbeiterinfo, bei der es hoffentlich neue Infos zum Projekt gibt und im Anschluss an die Meetings wollen wir in Urlaub fahren.
Ich logge mich im Rechner ein - kein Zugriff!!!! Hä???? Weder auf Confluence (na ja, brauch ich erst am mittag), noch auf Trello - da ist meine ToDo Liste für heute drauf und die ist lang - auch nicht auf Jira oder Mindmap. Ok! Da hat die IT sicherlich wieder irgendein Update eingespielt und ein Häkchen vergessen. Kontakt mit der IT geht dann halt nur über mail. Blöd halt, dass ich mich ausgerechnet heute auch noch dadrum kümmern muss. Aber irgendwie auch ein Déjà-vue - Haben die mir etwa den Account gesperrt? Nö, warum sollte man das tun?
Vor der Mitarbeiterinfo noch schnell ein paar Infos für meine Ferienabwesenheit vorbereitet und dann ist es auch schon so weit. Die ersten Kollegen haben sich schon eingewählt.
Komische Stimmung und dann legt unser CEO auch schon los: Heute gibt es nur ein trauriges Thema: Das Projekt! Er müsse uns leider mitteilen, dass das Projekt in gegenseitigem Einvernehmen mit sofortiger Wirkung beendet wird. Stille!
Was bedeutet das für uns? Und er müsse uns auch mitteilen, dass heute leider die gesamte Projektmannschaft betriebsbedingt gekündigt werden. 72 Mitarbeiter aus Deutschland, der Schweiz und Kroatien! Ihr seid alle mit sofortiger Wirkung freigestellt, ihr bekommt gleich eine Mail mit den nötigsten Informationen, eure Kündigung solltet ihr schon im Briefkasten haben. Wir haben euch auch eine Vereinbarung mitgeschickt mit einem länderspezifischen Abfindungsangebot. Eure Konten sind schon gesperrt - ja, das hab ich gemerkt - Teems und Outlook wird am Freitag um 15 Uhr gesperrt. Bitte gebt eure Rechner und sonstigen Dinge bis zum 9. Mai in eurer Niederlassung ab.
Wir waren erst einmal alle sprachlos - wir betroffenen Projektmitarbeiter und auch die Mitarbeiter, die wahrscheinlich nicht betroffen sind. War das ein Alptraum? Nein, das war die Realität? Ein Blick ins Postfach - die Mail war da. Ich bin also auch betroffen. So ein Scheiss! Während nun die ersten Wortmeldungen dazu eingingen, habe ich schon mal geschaut, wie schnell man im Jobcenter einen Termin bekommt und auch gleich mal die Homepage von einem Anwalt aufgerufen, der uns schon mal geholfen hat.
Kann das sein? Das Meeting war beendet - weitere Infos für das Projektteam im nächsten Meeting.
Erst mal einen Kaffee trinken, das Gehörte verdauen. Kann das wirklich sein? Gestern noch über die nächsten Schritte im Projekt geredet und jetzt soll ich alles Stehen und Liegen lassen. Die ersten Chats und Fragen kamen rein, ob ich auch betroffen bin? Ich arbeite nämlich nicht nur auf dem Projekt, sondern unterstütze auch noch die Academy und das Partnermanagement. Aber ich habe die Mail erhalten.
Im nächsten Meeting ging es dann eigentlich nur noch um Details: Wer sich um was kümmert, wir die Abwicklung erfolgen soll,...... . Ich war immer noch total vor den Kopf gestossen - konnte es nicht glauben. Ein pfiffiger Mitarbeiter hat vorsorglich mal eine WhatsApp Gruppe aufgesetzt.
Dann bin ich endlich zu Hansi und konnte nur sagen: "Du ich bin gekündigt, freigestellt - garden leave im englischen haha - und wir können jetzt glaube ich nicht in Urlaub fahren." Unglauben bei Hansi.
Ob die Kündigung schon da ist? Schnell zum Briefkasten gegangen - Ja, der Brief war da. OHNE Poststempel - den muss also ein Bote eingeworfen haben. Bei etwa 40 Betroffenen in Deutschland. Das wurde generalstabsmässig geplant. Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich bin zum 31. Oktober gekündigt und das Standardabfindungsangebot.
Gleich mal beim Anwalt nachgefragt, ob er auch Arbeitsrecht macht - macht er - Termin geht leider erst am Mittwoch. Soll ihm aber schon mal alles schicken.
Irgendwie ist jetzt nur noch funktionieren angesagt. Der Kopf will die Nachricht und was das bedeutet noch gar nicht wahrnehmen. Ich kann es nicht lassen und schreib noch ein paar Mails, biete auch noch an, dass ich für die Academy und das Partnermanagement eine Übergabe mache - "nein, ist nicht nötig, wir haben schon alles geregelt", war die Antwort. Ok.
So langsam kommen immer mehr Mails, die ersten Anrufe, die ersten Verlinkungen in LinkedIn. Wer weiss, wie lange wir noch Kontakt haben können.
Was soll ich nun mit dem freien nachmittag anfangen? Ich rufe noch schnell beim JobCenter an. Eigentlich müsste ich mich ja innerhalb 3 Tagen arbeitssuchend melden - heisst es auf der Homepage. Doch die nette Dame meint, dass ich mir bis August Zeit lassen kann - 3 Monate vorher. Ob die Abfindung zu einer möglichen Sperre führt, kann sie mir nicht sagen. Sie informiert die Leistungsabteilung, dass diese sich mit mir in Verbindung setzt.
Ich schreibe noch schnell eine Mail an den Campingplatz in Frankreich, dass wir unseren Urlaub verschieben müssen und wir - wenn möglich - später kommen - und gehe noch bei den Nachbarn vorbei, die Blumen giessen sollten.
Alles erledigt. Hansi macht mir einen Apérol und dann setze ich mich erst mal auf die Terrasse und lasse das alles setzen. Es ist jetzt schon recht spät - die Leistungsabteilung wird heute wohl nicht mehr anrufen.
Die WhatsApp Gruppe wird aktiv und wir lassen alle unseren Frust raus. Und es ist so surreal - wir können es alle immer noch nicht glauben.
Heute ertränken wir unseren Frust!
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